Arsenal London - Bayer Leverkusen
Champions League, 27. Februar 2002

Aufgewacht zur völlig absurden Uhrzeit von 04:00 Uhr ging es durch apokalyptische Unwetter in Richtung Flughafen Köln-Bonn, wo wir nach heftigsten Kontrollen denn auch endlich im Flieger der bis dahin gänzlich unbekannten Fluggesellschaft "Prime" sassen. Nach einem Start, der weit aufgerissene Augen und teilweise blasse Gesichter bei der noch schläfrigen Besatzung verursachte meldete sich dann auch der englische Pilot zu Wort, der eine sehr mitfühlende Ansprache hielt: "I'm sorry, aber dieser Flug ist strictly non alcohol. Es tut mir leid. Es tut mir wirklich sehr leid". Die Enttäuschung an Bord hielt sich aber aufgrund der aeronautischen Turbulenzen doch sehr in Grenzen. Immerhin war der Service an Bord sehr individuell ("Have you fasten your seatbelt, darling?". "Of course, honey". "Thank you sweetheart"), was mehr oder weniger heftige Flirtszenen zwischen der Stewardess und dem Lord zur Folge hatte, aber zur Erleichterung der hinteren Reihen, abgesehen von einem Küsschen, nicht zu irgendwelchen sexuellen Handlungen führte. Kaum in der Luft ging's gestärkt (geplatzte Bratwurst mit Omelette) auch wieder runter und nach einer Stunde betraten wir englischen Boden.

Die Busfahrt von Stansted nach Highbury wurde dann von einer der deutschen Sprache mächtigen Reiseleiterin kommentiert, was allerdings keinen so recht interessierte.

Die kubistische Form der fliederfarbenen Bustoilette inspirierte Teile von uns jedoch, in London spontan das Design-Museum zu besuchen. Der Bus parkte dann im 20 Minuten vom Stadion entfernten Finsbury-Park. Mit Tagesticket ausgestattet ging es erst mal zum Piccadilly Circus zum obligatorischen Fototermin mit anschließendem Gourmet-Menü im "Home of the Whopper", welches fest in Leverkusener Hand war. Eigentlich war es auch völlig egal, wo man war: Man traf überall auf mindestens einen Leverkusener.

Danach folgte eine weitere Fahrt runter zur Themse, wo wir in einem Pub den ersten Kontakt mit der trinkenden Bevölkerung aufnahmen. Das von jeglicher Schaumkrone und Kohlensäure befreite Bitter war aber dann doch ziemlich widerlich und insgeheim sehnte man sich sogar ein Germania-Pils herbei. So widerlich war das...

Der anschließende Lauf an der Themse mit dem ersten Pint im Schädel veranlasste uns zu dem spontanen Beschluss, Teile der dort von Lagerhäusern in Wohnungen verwandelte Immobilien zu erwerben, was wir aber angesichts des Kaufpreises von 750.000 Euro für 'ne Zwei-Zimmerwohnung erst einmal aufs nächste Mal verschoben. Nun also Chill-Out im Museum, was man sich aber hätte sparen können. Der zweite Stock war für Stuhlfetischisten (was angeregte, fachlich fundierte Diskussionen innerhalb der Reisegruppe zur Folge hatte, an denen ich mich aber nicht beteiligte) und im ersten Stock kamen dann Hardcore-Nerds auf ihre Kosten, wo irgendwie alte VC 20 und Ataris ausgestellt waren. Nun ja.

Bei klischeehaftem Wetter (Kälte, Wind und Regen) zogen wir über die Tower-Bridge und aus Gründen, auf die ich nicht näher eingehen möchte landeten wir zum Abschluss in einem Pub in Chelsea, wo wir unser letztes Münzgeld in Stella Artois (wir waren nicht sonderlich wählerisch) und Guinness investierten und so eine ausreichende Grundlage für den langen Rückweg zum Stadion legten.

So gegen 19:00 Uhr waren wir dann auch am Stadion angekommen. Wenn ich jetzt sage, Highbury liegt in einem Wohngebiet, dann meine ich das wörtlich. Unser Eingang war direkt an der Strasse neben zwei stinknormalen Haustüren. Über der Treppe zur Tribüne befanden sich allen Ernstes Balkone, wo Wäsche hing. Was für eine Wohnlage für Arsenalfans. Man muss sich mal vorstellen, man könnte vom heimischen Balkon direkt in Block Zwei springen. Unglaublich. Es ist ein Jammer, dass diese altehrwürdige Stätte bald abgerissen wird, weil Arsenal ein neues Stadion für 60.000 Leute baut.

Aber man merkt der Hütte das Alter schon an. Es ist verdammt eng und klein und völlig verwinkelt. Dafür waren die Toiletten erstaunlich sauber und mit Clubemblem gekachelt. Very stylish :-)

Unsere Plätze waren am North Stand, also nicht direkt im Bayer-Block hinter dem Tor, sondern direkt an der Eckfahne auf der Gegengerade. Was für ein Anblick. Zig Mal im TV gesehen und bei Nick Hornby verinnerlicht und nun ist man tatsächlich mitten drin im "Mythos Highbury". Man konnte auf allen Gesichtern sehen, dass es dem Rest wohl so ähnlich ging. Gänsehaut...! Lustigerweise saßen vor uns noch ein paar Offenbacher, die aber in diesem speziellen Fall Arsenal die Daumen drückten.

Zum Spiel:
Die zwei schnellen Arsenal-Tore hatten natürlich den Vorteil, dass man sich entspannt zurücklehnen konnte um in aller Ruhe das verdammt gute Spiel zu sehen und die Atmosphäre aufzusaugen. Nach sieben Minuten war hier schon völlig klar, dass Bayer keine wirkliche Chance mehr hatte. Allerdings ließ dadurch der sehr gute Support des Leverkusener Anhangs nicht nach, auch wenn man sich mit der Zeit nicht mehr aufs anfeuern des eigenen Teams konzentrierte, sondern stattdessen Lieder über den Kölner Untergang anstimmte.

Von Arsenal-Seite kam nicht all zu viel, auch wenn es nach den Toren immer ziemlich laut wurde. Nun ist Highbury allerdings auch nicht gerade als Stimmungshochburg in England bekannt. Aber wenn sie dann mal loslegen ("Arsene Wengers red and white army"), bekommt man schon eine Gänsehaut. Irgendwie haben die das schon besser drauf: Ohne Vorankündigung fängt dort auf einmal der ganze Block an zu singen und da ich dort keinen echten Fanblock ausmachen konnte kam es eigentlich von allen Seiten und das ganze in einer Lautstärke, die man wohl nur auf der Insel finden kann...
Nun ja: Arsenal fing dann an zu zaubern und die Bayer-Fans nahmen sportlich gelassen zur Kenntnis, was Viera und Co mit der Bayer-Abwehr veranstalteten. Lucio und Ballack waren ein Totalausfall und der arme Ulf Kirsten bekam nix auf die Schlappen. Das war teilweise schon ein Klassenunterschied auf dem Rasen.

Nach dem Spiel kam es zu den obligatorischen 20 Warteminuten im Block, wo sich noch mal Teile der inzwischen in Anzug und Krawatte befindlichen Mannschaft, angeführt von Ulf Kirsten, bei den mitgereisten Fans bedankte. Dann folgte der eskortierte Rückweg zu Fuß zu den Bussen, angeführt von einem berittenen Polizisten. Was anfangs noch zu ziemlich grotesken und zugleich sehr lustigen Gesängen führte ("Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind" oder "Der Martinsmann der zieht voran, Rabimmel, rabammel, rabumm.") wurde während des knapp 60-minütigen Marsches durch halb Nord-London zum Geduldsspiel, wobei der Mob aber sehr diszipliniert war. Was man den englischen Behörden allerdings über die Gewaltbereitschaft der Deutschen erzählte wird mir immer ein Rätsel bleiben. Während des ganzen Fußwegs war nicht ein Arsenal-Supporter zu sehen, lediglich vor einem Pub kam es zu etwas Gepose der Preisklasse "Kommt doch raus wenn ihr was wollt", was die dortigen Insassen aber eher belustigt zur Kenntnis nahmen.

Nun denn - irgendwann war es geschafft. Der Rest war müdes Abhängen im Bus zurück nach Stansted, ein verspäteter Rückflug, weil sich zwei Pappnasen irgendwo im Flughafen verlaufen haben (und das auch noch offensichtlich nüchtern) und irgendwann um halb Sechs Uhr morgens lag ich im Bett.

Fazit des ganzen: England ist und bleibt die Wiege des Fußballs und ja ich gebe es zu: Ich hasse Euch, Ihr Leverkusener, Dortmunder, Schalker und Bayern. Europacup ist geil, man darf zu Punktspielen in europäische Fußballtempel fahren und ihr findet das wahrscheinlich noch völlig normal. Wenn's ja nur nicht so teuer wäre. Ansonsten Kompliment an Bayer: Prima organisiert und 2500 Leverkusener an einem Mittwoch sind 'ne respektable Leistung.